Ein Jammer, dass es bald vorbei sein wird!
Warum?
Ich wollte schon seit langem ein Elektroauto. Allein, meinen BWM 2er “Active Tourer” gegen etwas Urlaubstaugliches (Anhängerkupplung Pflicht!) zu ersetzen, wäre für mich unbezahlbar. Daher lag das Begehren auf Eis.
Es bedurfte zweierlei glücklicher Fügungen um das Offensichtliche aufzuzeigen: es muss nicht das Ziel sein, das “große” Auto zu ersetzen – viel klüger ist es, das “kleine” Auto, das meiner Freundin, zu ersetzen.
Ich war schon immer ein Smart-Fan, jedoch konnte ich den Benziner meiner Freundin nicht schönreden. Anders den E-Smart, der hat auch ihr auf Anhieb gefallen. Dieser hat jedoch eine fatale Presse. Viel zu teuer, viel zu wenig Reichweite, seit Jahren keine Innovationen und mittlerweile mit Ablaufdatum versehen.
All das ist korrekt. Auch die nette Community macht da keinen Hehl daraus. Warum es trotzdem einer wurde, beschreibe ich hier.
Das Smart (fortwo) Konzept
Der Smart war nur zu seiner Geburt wirklich smart. Seither hat er sich kaum weiter- und damit faktisch zurück entwickelt. Eines ist jedoch geblieben: ein denkmöglichst kleiner Zweisitzer. Nichts ist damit vergleichbar! Mit anderen kleinen Autos kommt man vielleicht in die eine oder andere Parklücke in die man es mit dem 5er BMW nicht geschafft hätte – mit dem Smart hingegen tun sich Parklücken auf, die man im Normalfall nicht einmal als solche wahrnimmt. Das Platzangebot für die zwei Passagiere ist dabei barock, der Kofferraum für den Zweck völlig ausreichend. Ich war “hooked”, als ich zum ersten mal mit vollem Einschlag umgedreht habe. Ein erlesener Spaß!
Vom Roadster, den ich selbst einmal drei Jahre gefahren bin, abgesehen, kann ich der Marke an sich jedoch nicht viel abgewinnen. Der ForFour ist einfach nur ein gewöhnliches Auto ohne erkennbaren USP. Man erkennt überdeutlich, dass Smart/mcc bei Daimler immer nur das ungeliebte Stiefkind war, mit dem man trotz unverschämter Preise kein Geld verdient hat. Und die Tatsache, dass das erste Modell des neuen Herstellers Geely ein SUV sein wird, lässt mich sehr daran zweifeln, dass man dort verstanden hat, um was es geht.
Die Nachteile
…sind zahlreich und eigentlich nur mit der Zweisitzigkeit aufzuwiegen. Aber das reicht doch, oder? Ein Ferrari ist auch “nur schnell” und sonst für nichts zu gebrauchen. Einige Nachteile liste ich hier der Vollständigkeit halber auf:
Die Türen: ein Stadtauto mit Türen so lang wie bei einem Luxuscoupe. Das tut bei Querparkplätzen schon wirklich weh. Da ist man mit einem konventionellen Fünftürer besser dran.
Die Sicherheitsgurte: keine Höhenverstellung und eine Führung, aus der der Gurt immer wieder raus springt. Dazu eine Position des baumelnden Gurt-Verschlusses, wo er sich gerne zwischen Türe und Sitz einklemmt. Ein Ärgernis seit dem ersten Modell.
Sitze: definitiv nicht für die Spezies Mensch zugeschnitten. Die Lordosenstütze liegt in etwa auf Höhe der Halswirbelsäule. Auf den Distanzen die man mit einem EQ Smart zurücklegt, kein Problem. Die Frage bleibt trotzdem, ob es teurer gewesen wäre, sie für einen Homo Sapiens zu fertigen.
Ablagen: man kommt schon durch mit den Ablagen. In einem Auto, das seit Jahrzehnten primär als praktischer Stadtflitzer gebaut wird, würde man sich jedoch innovative Lösungen erwarten. Solche, auf die man selbst vielleicht gar nicht gekommen wäre. Ok, eine pfiffige Sache gibt es: das Gummiband zum Fixieren der Handtasche, das einem Beifahrer trotzdem nicht im Weg ist:
Jeder durchschnittliche Kompakte hat zumindest gleich viele Ablagen die besser zugänglich sind.
Der Elektroantrieb, die Batterie, der Sound
zumindest für mich, als E-Einsteiger, ein Sahnestück! Geht wie die Feuerwehr, macht horrend Spaß. Die Geräuschkulisse ist dabei nicht ausschließlich toll – beim Verzögern springt irgendein fiependes Aggregat an (der Bremskraftverstärker, wie ich inzwischen weiß) – aber immer noch zukunftsweisender als jede Art von Verbrenner-Brummbrumm. Für mich jedenfalls die ideale Motorisierung für den Smart.
Viele kritisieren das Fehlen einer einstellbaren Rekuperation. Was so aber gar nicht stimmt, denn in der “ECO” Einstellung rekuperiert und bremst er recht ordentlich. Natürlich ist das von “one pedal driving” weit weg, aber mir fehlt das nicht im Geringsten.
Die geringe Reichweite von 120km ist für mich absolut kein Thema. Es ist unser Zweitwagen und nur für die Stadt gedacht. Wir können damit theoretisch eine Woche lang jeden Tag zur Arbeit und zum Einkaufen fahren ohne nachzuladen. Mehr Reichweite und damit mehr Gewicht und mehr Verbrauch wären – für uns – regelrecht nachteilig. Das Laden geht dank 22kW Ladeoption sehr flott. In 99% der Fälle werden wir jedoch zu Hause gemütlich mit 2kW über die PV Anlage und somit gratis laden.
Damit wäre für mich dieses, für viele vielleicht spannendste Kapitel, auch schon abgeschlossen. Es funktioniert prächtig. Punkt.
Verarbeitung, Ausstattung
Der Smart entzieht sich dem direkten Vergleich durch seine schrullige Bauweise. Spaltmaße der Motorhaube? Das ist ein Plastikteil das so sitzt, wie man es gerade hineingedrückt hat. Oberflächen? Viel hartes, nicht unterschäumtes Plastik, was aber irgendwie “passt”. Ich bin da durchaus anspruchsvoll. Könnte zB. nie einen Opel fahren, weil die selbst bei den teuren Modellen ein Plastik verbauen das man so auch in Lada und Wolga vorfindet. Der Smart ist objektiv kaum höherwertig, aber subjektiv absolut stimmig und erst recht schön.
Aktuell nervt das wirklich extrem laute Klappern/Vibrieren des Dachhimmels bei geöffneter Abdeckung des Glasdaches. Das werde ich bald gefunden und eliminiert haben. Einige andere Geräuschquellen sind nicht so leicht zu finden. Oft stammt es einfach nur von irgendetwas was im Kofferraum gerade irgendwo anstößt (Reissverschluß der Jacke!)
Ausstattungsseitig haben wir die “rechts unten” Version erstanden. Also die höchste Ausstattungsserie “Prime” mit höhenverstellbaren, beheizbaren Ledersitzen, Lenkradheizung, Panoramadach, voll-LED Scheinwerfern und dazu noch Sonderausstattungen wie das Winterpaket und JBL Soundpaket.
Auch gibt es einen radargesteuerten Abstands-Tempomaten, den hab ich aber nie ausprobiert. Eine etwas fragwürdige Sache bei gerade diesem Fahrzeug. Allerdings dient er wohl auch der automatischen Notbremsung. Ein Sache die ich persönlich zwar verabscheue, aber wohl unterm Strich recht sinnvoll ist.
Würde man ein konventionelles Auto mit “Vollausstattung” kaufen, wäre wohl noch Sicherheitsschnickschnack wie Spurhalteassistent, Verkehrszeichenerkennung, automatisches Einparken etc. dabei. Auf das alles verzichte ich sehr gerne, nicht nur beim Smart. Das einzige was wirklich schmerzlich fehlt, ist “keyless drive”, oder noch besser “keyless entry & drive”, wie weiter unten erwähnt.
Ergonomie
man sitzt bequem, alles greift sich gut an. Die Tempomat-Bedienung am Lenkrad ist keine ergonomische Großtat, aber ok.
Wirklich schlimm, an der Grenze zum Showstopper sind für mich die nicht höhenverstellbaren Gurte. Die schneiden mir Zwerg immer am Hals ein.
Ein anderes Problem ist eher geometrischer Natur: man kann den Rückspiegel nicht so einstellen, dass man weit nach hinten sieht. Will man mehr als nur eine Fahrzeuglänge nach hinten sehen, muss man den Kopf nach unten ducken. (das Tieferstellen des Sitzes hilft nichts) Wie muss das erst für große Menchen sein?
Entertainment
seit dem Facelift verfügt der Smart nur mehr über ein Radio mit rudimentären Funktionen – man verlässt sich voll auf Android Auto bezw. Apple Carplay, letzteres auch wireless. Das funktioniert prächtig! Ein Knopf am Lenkrad aktiviert den Google Assistenten und erlaubt zB. Navigation und Musikwünsche. Auch Nachrichten werden vorgelesen und können beantwortet werden.
Das nackte Radio ist dabei jedoch besser als man denken mag. Tatsächlich nutzen wir Android Auto (weil nicht wireless) nur manchmal. Meistens das normale Bluetooth-Pairing, was für Musik und Podcasts völlig ausreicht. Zwei kleine Problemchen gibt es solcherart:
1) wenn wir zu zweit, also mit beiden gepairten Handys fahren, gewinnt aktuell gerade immer das der Freundin. Bestünde ich auf meines, müsste ich es anstecken.
2) auch, wenn ich alleine fahren, kommt es immer wieder vor, dass die BT Verbindung nur für Telefonie funktioniert. Man muss dann im BT Profil extra Audio aktivieren.
Ich habe mir ein Dock für den Becherhalter 3D-gedruckt, wo ich das Handy passgenau reinschiebe worauf es sich mit Android Auto verbindet, solcherart auch gleich lädt und der jeweilige Audio-Content gleich zu spielen beginnt. Bin hochzufrieden mit dieser Lösung:
Das Bildschirm-Layout des nackten Radios wird arg verrissen und ja, es sieht tatsächlich genau so aus wie eine Oberfläche die ein Programmierer (also kein Designer) schnell mal zusammengeschustert hat.
Es tröstet einerseits, dass das nicht Smart verbrochen hat, sondern Bosch und es bei mehreren Automarken so zum Einsatz kommt und andererseits ist es eigentlich wirklich nicht so schlimm. Ich wusste es bereits im Vorfeld und war dann eigentlich sogar eher positiv überrascht.
Der Sound des aufpreispflichtigen JBL Paketes ist übrigens herausragend gut! Mazda 3 (Bose) und BMW 2er (ebenfalls mit Soundpaket) kommen da nicht mit.
Die kleineren Wehwehchen
ich bin ja pingelig und solcherart stören mich manche kleine Dinge, die viele Menschen nichteinmal registrieren, übermäßig stark:
Der Tempomat geht erst ab 30km/h. Das wäre nicht das große Problem, darunter brauche ich ihn nicht. Es führt aber dazu, dass man, um korrekt 30km/h zu fahren, kurzfristig etwas schneller fahren muss um sich von oben nach unten zu tasten, statt umgekehrt.
Ich vermisse wirklich schmerzlich “keyless drive“. Das sollte bei einem Elektroauto wohl wirklich drinnen sein, oder? Nicht nur, dass ich es beim anderen Auto habe und damit die Umgewöhnung nervt, nein, es hat auch noch zwei weitere Cons: man muss den Schlüssel kurz umdrehen, wie beim Verbrenner anno dazumal, bis es piepst und “ready” meldet. Dieser Vorgang und die gefühlt ewig lange Zeit die man den Schlüssel drehen muss, nerven. Und – man mag mich für verrückt erklären – der zusammenklappbare Schlüssel ist zwar wirklich hübsch, aber eine Fehlkonstruktion, weil man den Bart zu tief reindrücken muss, damit er einrastet.
Ein gröberes Problem ist die “Vorklimatisierung“. Bei E-Autos sind die Standheizung und sogar die Standklimatisierung – was bei Verbrennern ja ein riesen Aufpreisposten ist – ja nur ein simples, kostenloses Software-Feature. So auch beim Smart. Leider funktionieren diese notorisch unzuverlässig. Das heißt, man programmiert sie um morgens um 7 in ein warmes Auto zu steigen und es bleibt manchmal eiskalt. Weil das Steuergerät in einen Schlafmodus geht aus dem es nicht erwacht. Ein Fehler der an der eingesetzten Renault Hardware liegt und nicht mehr behoben wird, weil die Zusammenarbeit, wohl angeblich eher unfreundschaftlich, beendet wurde.
Generell ist die Heizung im EQ Smart ein ziemliches ein Drama: das Gebläse kennt vier Stufen. Die beiden höheren sind so laut, dass man ungelogen sehr laut sprechen muss um sich im Auto noch zu verständigen. Im Winter behelfe ich mir mit der Standheizung und, so bald es im Auto dann etwas wärmer ist, kann man mit niedrigster Gebläsestufe plus höchster Heizungstemperatur ganz gut leben. Die Kühlleistung im Sommer ist dürftig. Bei hochsommerlichen Temperaturen wird es unangenehm laut UND trotzdem unangenehm warm.
Das ganze ist dabei regelrecht sicherheits-relevant: bei Regen schafft es das Gebläse, trotz Trocknung durch die Klimaanlage und trotz Lüftungsgeräusch in Disco-Lautstärke manchmal nicht, die Scheiben beschlagsfrei zu halten. Ich musste tatsächlich einmal rechts ranfahren, weil ich nichts mehr sah. In einem KFZ Baujahr 2022!
Innovation
weiter oben schreibe ich von mangelnder Innovation und, dass selbst die Fanbase hier keinen Hehl daraus macht. Irgendwie möchte ich das aber doch nicht so stehen lassen:
das Ding hat – zumindest in der aktuellsten Version – Abstandsradar, Voll-LED, Android Auto, Apple Carplay Wireless, Regensensor, Lenkradheizung, lädt mit 22kW, topmodernes Interieur, ein state-of-the-art Soundsystem, App-Steuerung… Mit anderen Worten, fast alles, was man in so ein Auto reinbauen möchte. Die mangelnde Reichweite sehe ich für den Einsatzzweck schlicht nicht als mangelhaft an. It’s a feature, not a bug.
Vermutlich hat es geholfen, dass ich ob all der schlechten Presse wirklich niedrige Erwartungen hatte. So war ich wirklich fast ausschließlich positiv überrascht und konnte die bekannten Mängel bewusst in Kauf nehmen. Wäre ich von der anderen Seite gekommen, hätte das genausogut auch schlecht ausgehen können. Alles Einstellungssache.
Verdict
nach 24 Jahren Bauzeit ist der Smart nun endlich das Auto das er immer sein hätte sollen. Kompromisslos auf die Stadt getrimmt mit dem passenden, ruckfreien Antrieb. Ich bin traurig, dass es das in Zukunft nicht mehr geben soll. Umso mehr hoffe ich und freue mich darauf, unseren jetzigen fortwo möglichst lange zu fahren. Das “Erst-Auto”, den 2er BMW Active Tourer benutzen wir beide nur mehr, wenn der Smart vergriffen, oder zu klein ist.
Und zur vielleicht wichtigsten Frage: würde ich ihn wieder kaufen? Kurz und klar und deutlich: sofort!