Handy: Xiaomi Mi 11

Xiaomi Mi 11 Detail

Test basierend auf Softwarestand: Android 11, Security Patchlevel 1.1.2021, MIUI 12.0.22.0

Mein erstes “China Handy”

Warum?

Ich habe mir das Mi 11 gekauft, weil mein 3 Jahre altes Huawei Mate 10 Pro beginnt, sich aufzublähen. Entweder geht es aus dem Leim, oder der Akku platzt langsam. Das Mi 11 wurde es aus Neugier und, weil es halt angeblich aktuell eine der besten Kameras hat. Und vor allem, weil die Lei Jun Edition einfach sensationell aussieht! Das Mate 10 Pro war das tollste Handy das ich je hatte. Trotz Sprung im Display nach einem Jahr, habe ich es weitere 2 Jahre behalten, so sehr sind wir verwachsen. Die Latte liegt also hoch! Wäre da nicht nicht dieses Google-Apps Problem, wäre es ohne Zögern das Mate 40 Pro als Nachfolger geworden.

(Die eigentlich beste Kamera soll ja das Mi 10 Ultra haben, jedoch kommt diese Wertung vor allem vom extremen Zoom. Das brauche ich nicht und als Hobbyfotograf denke ich, dass das sowieso nur mittelmäßig funktionieren kann. Ich wollte jedoch unbedingt ein Ultraweitwinkel, das hat das Mi 11 ja.)

Xiaomi Mi 11 Lei Jun unboxing

“China”:

Ich habe mich hier etwas von der Werbung von “tradingshenzhen” blenden lassen und dachte, dass es mit vollwertigem EU-ROM kommt. Das ist aus mehrerlei Hinsicht nicht der Fall: das vorhandene EU-ROM stammt nicht von Xiaomi, sondern ist ein klassisches “Custom ROM”. Die entsprechende Seite erweckt wirklich den Eindruck, dass es sich um Xiaomi selbst handelt, dem ist aber nicht so. In wie weit das nachteilig ist, weiß ich nicht. Updates “over the air” scheint es wohl in guter Frequenz zu geben. Der andere Haken ist, dass der Bootloader entsperrt werden muss, weshalb angeblich manche sicherheitskritische Apps ihren Dienst verweigern (“an diesem Gerät wurde manipuliert, deshalb kann ich meine eigene Sicherheit nicht gewährleisten”. Eigentlich eine sehr vernünftige Sache!).

Ich habe mich nach kurzer Recherche entschlossen, das originale ROM, also Chinesisch und Englisch zu nutzen. Englisch ist mir auf Computern sowieso das Liebste und dort, wo ich Deutsch brauche, zB. Keyboard Layout, Sprachein- und Ausgabe (Google Assistant), funktioniert es auch problemlos. Am Anfang dachte ich nicht, dass das möglich sein wird – überall leuchtet es einem Chinesisch entgegen. So bald ich aber alles so konfiguriert hatte, wie ich es sowieso haben will, sieht man das Chinesische Zeug nicht mehr. Einige Menüpunkte sind nach wie vor vorwiegend in Chinesisch (zB. “Apps, System App settings, Browser”), die beziehen sich aber, so weit ich das sehe, alle auf Apps die man eh nicht nutzen will. In dem Fall zB. den eigene Browser – ich nutze Edge.

es gibt sie, die rein chinesischen Menüs

Die sicherheitskritischen Apps die ich nutze, funktionieren problemlos: Easybank, Handysignatur, Google Authenticator, Microsoft Authenticator, Signal.

Einzig die Netflix App wurde mir im Playstore nicht angezeigt, ließ sich aber problemlos als .apk installieren.

Das einzige was gar nicht geht ist die “Stop Corona” App. Die läuft zwar, meldet aber ein Problem mit (Googles eigenem) “COVID-19 Exposure Notifications” Framework. Möglich, dass sich das lösen lässt, aber es war mir nicht wichtig genug. In Österreich nutzt das kaum irgendwer.

Wer also mit Englisch kein Problem hat, der kann das Thema “China” getrost vergessen. Alle anderen können sich – laut Forum weitestgehend problemlos – immer noch mit dem bereits verfügbaren Custom ROM auseinander setzen. Wie gesagt, hierzu habe ich keine eigene Erfahrung.

Nun endlich zum Handy selbst:

Akku:

Zwei Tage gehen bei meinem Benutzungsprofil immer. Drei schafft kein mir bekanntes Gerät. Für mich ist das also quasi die Höchstnote. Ich habe dabei gut 10 Apps vom Powermanagement ausgeschlossen, was der Sache offenbar nicht schadet.

Xiaomi Mi 11 Lei Jun Detail

MIUI

(das ist Xiaomis Android Anpassung): ist hübsch. Tut alles was man/ich will.

  • Home- und andere Screens sind ausreichend gut konfigurierbar, so dass ich keinerlei Wunsch nach einem anderen Launcher habe. Leider gibt es manche Widgets offenbar nicht mehr. Outlook und Evernote zB. hatten ein 1×1 Widget das ich gerne genutzt habe, das gibt es nicht mehr. Ich nehme an, das liegt aber an Android 11.
  • zwei Sachen nerven doch etwas:
    • wenn ich eine App über den App Drawer öffne und dann schließe, dann kehrt das Gerät zurück zum App-Drawer, statt zum Home Screen. Detto, wenn ich es aus dem App Drawer heraus ausschalte (standby natürlich), kommt es wieder mit selbigem zurück. Ich kann mir kaum vorstellen, dass sich das irgendjemand so wünscht.
    • wenn ich den Wecker auf “Snooze” stelle, gibt es keine(!) Möglichkeit, ihn vor dem Ablauf des Snoozes abzudrehen. Beim Huawei zB. steht in der Statusleiste, dass ein Snooze aktiv ist. Mit Swipe-down kann man das öffnen und abdrehen. Oder, man schaltet den Alarm ganz ab. Ersteres ist beim Mi 11 nicht der Fall, zweiteres hilt nichts, der Snooze meldet sich trotzdem nach Ablauf der Zeit.
  • Ich nutze seit langem GBoard, das läuft auch hier, so muss ich mich nicht umgewöhnen. Xiaomi will es Apple nachmachen und einem für die Passwort-Eingabe das eigene “sichere” Keyboard aufzwingen – glücklicherweise gibt es hier aber ein Setting, das zu unterbinden.
  • Viele Display Elemente sind sehr klein. zB. das Zahnrad für das Settings Menü, wenn man von oben nach unten wischt: das ist nicht nur winzig, sondern man muss auch leicht daneben drücken um es zu klicken. Auch das Batteriesymbol, in dem Ladung in % steht, kann ich nur mit Brille lesen. Die div. Scaling-Funktionen greifen hier nicht. Dabei wäre so viel Platz! Ich verbuche das aber als minimalen Mangel. Normalsichtige werden das vielleicht gar nicht bemerken.
  • Dark Mode: ich weiß nicht, ob das MIUI, oder Android 11 ist, jedenfalls führt der bei ein paar älteren Apps zu seltsamen Darstellungen. Schade, ich mag “dark” eigentlich.
  • Ich habe gelesen, dass Xiaomi gerne Apps im Hintergrund killt. Das stimmt bestenfalls bedingt: zwar trifft das selbst für eine Messenger App wie Signal zu, was wirklich etwas dumm ist, aber das kann man über die div. (eingebauten) anti-Energiespar Einstellungen leicht lösen. Andererseits hat der Vorgänger, das Huawei zB. “Podcast Addict” im Hintergrund gekillt, was am Mi 11 auch ohne nachhelfen läuft. Also kein Drama. Ein unbedarfter User ist hier sicher überfordert, aber für den Android Fan ist es kein Thema.
  • Bloatware: kein Problem. Es sind gerade mal 8 Apps, die alle mit ”Mi” beginnen und sich nicht vordrängen. Ich glaube, da sind Samsung, Huawei & Co. um nichts besser.
  • In den 3 Wochen die ich das Gerät nun habe, sind 3 MIUI Updates gekommen. Das finde ich extrem erfreulich.

Sonstiges/Hardware:

  • Auto-Helligkeit funktioniert schlecht. Mit fixer Helligkeit irgendwo unter Maximum geht einem aber selten etwas ab. Komisch, dass hier immer noch so viele Handys Schwächen haben.
  • das Pairing mit meinen zahlreichen Bluetooth Geräten (mehrere Kopfhörer und Headsets, Garmin Fenix 5, Auto) funktioniert tadellos.
  • Fingerabdrucksensor im Display – für mich ein extrem wichtiger Punkt! Ich habe den Sensor am Mate 10 Pro, also hinten am Gehäuse so sehr geliebt! Es erfordert nahezu sportlichen Ehrgeiz den so zu drücken, dass er nicht entsperrt. Das war tatsächlich mit ein Grund, warum ich so lange nicht wechseln wollte, weil heutige Geräte alle einen in-Display Sensor haben. Ich weiß nicht, ob der des Mi 11 ein besserer, oder schlechterer seiner Sorte ist, aber er fühlt sich im Vergleich dazu an wie ein früher Prototyp, wie ein Proof-of-Concept. Den Daumen erkennt er sowieso fast nie, der Zeigefinger geht in der Regel, braucht aber viel, VIEL länger und ist unzuverlässiger als beim Vorgänger. Nach dem Duschen geht es gar nicht. Beim Vorgänger kein Problem. (Dabei habe ich Daumen und Zeigefinger doppelt angelernt!)
    • Face-Unlock wäre ein sehr würdiger Ersatz! Das geht so schnell und zuverlässig, bei Dunkelheit, wie auch bei prallem Sonnenlicht, dass es den Fingerprint Sensor fast vergessen macht. Das Problem ist allerdings, dass ich das Handy auch gerne entsperre, wenn ich eine Helm aufhabe, oder, gerade jetzt (Corona) täglich der Fall: wenn ich beim Einkaufen die Einkaufliste ansehen möchte und dabei eine Schutzmaske trage. Dann funktioniert Face-Unlock natürlich nicht. Und der Fingerprint-Sensor so schlecht, dass ich meistens einfach direkt den PIN eingebe, bevor ich mich länger ärgere.
  • ich hatte einige Vorbehalte gegen curved Displays. Zu Beginn sah ich mich bestätigt: wenn ich ein Foto mache und das Handy so halte, wie es sich natürlich ergibt, ist eine kleine Hautfalte am Display, die verhindert, dass der Auslösebutton erkannt wird. Ich muss das Handy deutlich unsicherer greifen, damit es klappt. Dann habe ich jedoch gesehen, dass es genau dafür ein Setting gibt um dieses Problem zu verhindern, also um die Bildschirmränder zu ignorieren. Das funktioniert sehr gut und ich habe somit keinerlei Probleme mehr damit. Hurra!
  • 120Hz. Dort, wo man das einstellt, kann man es sofort und leicht direkt vergleichen und da erkennt man den Unterschied zu 60Hz und will das Feature natürlich haben und schaltet es also ein. Beim Vorgänger vermisst man allerdings auch nichts. Nicht einmal, wenn es daneben liegt und man 1:1 vergleichen kann. Keine Ahnung, wie viel Hz das Mate 10 Pro hatte. Damals war das noch kein Thema. Wie mir scheint, zu Recht, denn das bringt in meinen Augen gar nix.
  • Nachdem ich die Firmen-SIM über’s Wochenende ausgeschalten habe, ließ sie sich irgendwann mal Montags Früh nicht mehr aktivieren. Das Feld blieb ohne Funktion. Nach einem Reboot ging es. Ein kleiner Bug halt der inzwischen auch nicht mehr aufgetreten ist.
  • Den Formfaktor verstehe ich nicht. Ich sehe durch die Länge/Höhe keinen nennenswerten Vorteil. Filme haben schwarze Ränder. Fotos werden so breit, wie sie auf anderen Geräten nicht wiedergegeben werden können. Ergonomisch ist es nachteilig. Keine Ahnung, was die Industrie sich dabei gedacht hat.

Ärgernisse:

  • Ich schreibe ein Stück weiter oben, dass das mit dem Killen von Apps nicht so schlimm ist. Dennoch gibt es eine App, die diesbezgl. Probleme bereitet: ich habe es immer noch nicht geschafft, den Microsoft Authenticator so einzustellen, dass er immer im Hintergrund läuft und sich automatisch meldet, wenn eine Authentifizierung ansteht. Ich denke nicht, dass dies dem Power-Management geschuldet ist, sondern, dass es irgendetwas mit Push Notifications zu tun hat. Da ich die App jedoch mehrmals täglich brauche, ist es jedenfalls sehr ärgerlich.
  • Google Assistant lässt sich nicht dauerhaft aktivieren. Also nicht nur, dass “Ok Google” nicht in jedem Zustand funktioniert, sondern die ganze App wird laufend deaktiviert. Es wird immer wieder der Xiaomi Assistant als Assistenz-App eingestellt. Den habe ich dann via Fastboot deinstalliert (eigentlich wollte ich derlei “Basteleien” vermeiden) was dazu führt, dass halt jetzt default immer kein Assistent ausgewählt ist.

Kamera:

Ich wollte die Kamera zunächst nicht bewerten, da es hierfür ja wirklich ausreichend Seiten gibt die nichts anderes tun.
Es hat sich aber zugetragen, dass ich so schockiert von der Qualität war, dass ich doch näher hingesehen habe.
Grund dafür waren die folgenden Fotos. Abends gesellt sich unser Kater gerne zu mir und weil er so süß ist, fotografiere ich ihn gerne. Kunstlicht also und relativ nahe. Das Ergebnis war der Horror, zumal ich auf diesen Effekt besonders allergisch bin: “Wasserfarben”. Besonders Texturen, wie hier eben das Fell, werden dargestellt, als wären sie ein Gemälde aus Wasserfarben. Mit großen Farbklecksen also. Frühe Fuji Kameras hatten das manchmal und nun auch das Mi 11. Dazu eine Farbwiedergabe (Weissabgleich) die willkürlich und meistens grausig falsch ist

Möglich, dass dieses letzte Bild unscharf ist. Die Farbwiedergabe ist jedenfalls schauderhaft.

Hätte sich das bewahrheitet, dann wäre das Mi 11 für mich gestorben, also habe ich einen Vergleich gemacht. Die folgenden Fotos zeigen immer:
– oben: Huawei Mate 10 Pro (das Vorgängerhandy)
– Mitte: Fuji X-T3 (ein guter, richtiger Fotoapparat)
– unten: Xiaomi Mi 11 (Hauptkamera!)

Zunächst ging es mir um den furchtbaren Farbeindruck:

Danach wollte ich die Auflösung vergleichen:
(am besten die Bilder in voller Auflösung ansehen, sonst sind die Unterschiede kaum sichtbar)

Mein Eindruck daraus:
der grausige Farbeindruck bestätigt sich leider. Die Bilder sind übermäßig warm und gesättigt. Outdoor scheint es erträglich zu sein, wobei die Frage ist, wie es im Sommer, bei farbenprächtigerer Natur aussieht. Indoor, also mit Kunstlicht ist es für mich unerträglich. Man kann das in der Nachbearbeitung hinbiegen und ich könnte natürlich auch in RAW fotografieren, wie ich es mit der Mirrorless ohnehin tue. Das will ich beim Handy aber explizit nicht, das sollte “point and shoot” sein, dafür habe ich es gekauft.

Der “Wasserfarbeneffekt” zeigt nicht outdoor nicht! Die Auflösung ist wie erwartet deutlich besser als die des Mate 10 Pro, aber unerwartet nahe dran an der Fuji X-T3. Das ist wirklich erstaunlich! Die “Crispness” der Fuji Bilder erreicht es immer noch nicht annähernd und es ist somit kein Ersatz für die Fuji “wenn es mal besser werden soll”, aber die technische Leistung ist schon beeindruckend!
Im (naturgemäß schwächeren) Kunstlicht hat sie jedoch exakt dasselbe Verhalten wie vor vielen Jahren die legendäre Fuji Finepix F31fd: manchmal wird ein Foto super, und die zweite Auslösung, also das selbe Bild eine Zehntelsekunde danach aufgenommen hat diese grausigen Wasserfarben. Ich habe diese Fuji daher damals schweren Herzens verkauft. Nun habe ich mir wieder so eine Diva eingetreten.

Das ist schon ein starkes Stück, zumal ich mich wegen der Kamera für das Mi 11 entschieden habe. Das ist zum Vorgänger – wenn das Phänomen gerade eintritt – ein riesiger Rückschritt!

Eine Beobachtung nebenbei: wenn man das Bildformat “Full” einstellt, bekommt man ein beschnittenes Bild. Oben und unten wird abgeschnitten, damit das Bild schön in das langgezogene Display passt. Wenn man tatsächlich den gesamten Sensor nutzen will, muss man 4:3 einstellen, was im ersten Moment jedoch so aussieht, als wäre das ein wesentlich schmälerer Bildausschnitt! Ziemlich irreführend.

Verdict:

Man könnte es negativ sehen: die Kamera Verbesserungen sind nicht gravierend, manchmal gar ein Rückschritt. Die Akkulaufzeit ist etwas schlechter und die Performance von vor 3 Jahren reicht für 99% der Leute immer noch locker(!!) Dieser verdammte in-Display Fingerprint-Sensor ist ein schlechter Witz. Der einzig rationale Grund für das Update war, dass mein altes Handy stirbt.
Natürlich sehe ich es viel lieber positiv: ein wunderschönes, top modernes Handy, dem es an nichts fehlt. Dazu deutlich billiger als Samsung und Apple und mit nur minimalsten Einschränkungen aufgrund der Herkunft.
Würde ich es mir wieder kaufen? Vermutlich. Allerdings “nur” mehr, weil die Lei Jun Edition so hübsch ist und Preis/Leistung toll sind. Aufgrund des eigentlichen Kaufargumentes, der Kamera, jedoch nicht.

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